Weit weg und doch nah?
Was haben chinesische und deutsche Designstudierende gemeinsam?

Im Wintersemester 2020/2021 hatte ich Gelegenheit, 35 chinesische Siebtsemester des IDI Industrial Design Institute in Zhaoqing zu unterrichten. Das IDI ist eine Kooperation der Zhaoqing University in der Provinz Guangdong mit der Folkwang Universität der Künste in Essen, an der ich von 2008 bis 2016 als Dozentin für Design Management tätig war.

Zum Einstieg ins Design Management als Instrument zur Steuerung von Entwicklungsprozessen, Marken und Unternehmen galt es, zwei Inhalte zu vermitteln: das Leitmotiv „Design Management brings all creative duties of Corporate Behavior, Corporate Design and Corporate Communication together for the dialog on the market” und die Vorstellung einer Struktur aus Strategie, Prozess und Kommunikation, also auch die Definition von Werten, Haltungen und Zielen. Auch wenn von den chinesischen Studierenden nur wenige einen Weg in die Selbständigkeit anstreben, ist dies auch auf die eigene Person als Designer:in übertragbar: Wo komme ich her, was bringe ich mit, wo will ich hin, wie ist das zu erreichen?

Die Zeitspanne und das Onlineformat ließen kaum tiefe Einblicke zu, aber einige Antworten konnte ich mit den in fünfzehn Jahren an drei deutschen Hochschulen gesammelten Aussagen abgleichen. Der Zugang zum Studium unterscheidet sich für die chinesischen Studierenden erheblich von dem der deutschen. In China bestimmt nach der Schule ein Punktesystem darüber, welche Studiengänge überhaupt gewählt werden können – und für Design benötigt man verhältnismäßig wenig Punkte. Im Vergleich zu Deutschland sind es so nicht viele Anfänger, die früh in sich den Hang für gestalterisches, Malen und Zeichnen und kreatives Schaffen verspürten, bei der Studienwahl keinen Plan B oder überhaupt einen Plan haben.

Gerade ohne diese anfängliche „Leidenschaft“ war es spannend zu erkunden, wo ihre persönlichen Ambitionen und Intentionen liegen. Bei der Frage, was sie im Design antreibt, welches ihre Rollenmodelle sind, waren die Rückmeldungen erstaunlich dicht an denen der Studierenden in Deutschland. Und die Stereotype der Designvorbilder ist bemerkenswert: zu zweidrittel japanisches oder japanisch inspiriertes Design von Naoto Fukasawa über Dieter Rams bis Jonathan Paul Ive und verschwindend wenige Motive aus der eigenen Kultur. So war eine Aufgabe herauszufinden, was sie aus ihren kulturellen Wurzeln an Eigenständigkeit und Werten in ein künftiges Markenverständnis chinesischer Produkte und Dienstleistungen einbringen wollen.

Design als Marketinginstrument in der Markenwelt ist bei den chinesischen Studierenden omnipräsent. Ewig grüßt sozusagen das Marken-Murmeltier Appel, das für alles als Beispiel herhalten muss, auch für widersprüchliche Zuordnungen. So werden Appel Produkte als nachhaltig gesehen – weil auf der Appel Website steht, wie sich das Unternehmen darum bemüht. Eine Einführung in die Prinzipien von Kreislaufwirtschaft und das Beispiel des permanenten Modellwechsels nicht reparierbarer iPhones durchbricht diese Logik nicht.

Die Auseinandersetzung mit individuellen und gesellschaftlichen Werten ist schon im eigenen Kulturkreis schwierig. Viele Jahre haben die Designer:innen im VDID Verband Deutscher Industrie Designer um die Entwicklung ihres Codex für Industriedesign gerungen. Wie aber kann der Austausch über Werte zwischen so unterschiedlichen Kulturen gelingen? Die scheinbare Übereinstimmung mit dem Formenkanon globaler Designklischees sagt wenig über die Einstellung dazu aus. Die Bewunderung westlicher Designhaltungen wie zum Beispiel die von Dieter Rams formulierten Postulate zum guten Design, schließt nicht die Akzeptanz und den Stolz auf das eigene autoritäre Herrschaftssystem aus. Was sagt das über den politischen Impetus von Design?

Visionen zum Wertedialog zwischen den Interessensgruppen – Kunden, Nutzern, Produzenten, Vertreibern bis Gesellschaft und Politik – erschöpfen sich vielfach in der Vergabe von Labels zur Vermarktung von „grünen“ Produkten. Zwar besteht der Anspruch, mit Design Probleme zu lösen, die Welt schöner und besser zu machen, aber wo bleibt die individuelle Verantwortung? Alle Lösungsansätze unserer globalen Herausforderungen haben im Kern gleiche Prämissen: Haltung zeigen, Verantwortung übernehmen, die Kosten nennen und dafür „geradestehen“. Das verlangt, Komplexität zu akzeptieren und Erkenntnisse immer wieder zu evaluieren. Können Designer:innen das leisten? Schwierig mit Anfang Zwanzig, da scheint weltweit das gleiche Muster verbreitet: Ziel vieler Berufsträume ist hier wie dort: MEIN Design, MEIN Stil, MEINE unverwechselbare Gestaltung, MEINE Produkte… Entwicklungspsychologisch ist das verständlich, für die Zukunft wird es nicht reichen.
Und wieviel Kooperation zwischen unterschiedlichen Kulturen ist möglich, um globale Probleme zu lösen?