Designing Design Education, Weißbuch zur Zukunft der Designlehre
Verdienstvolle Analyse zur Orientierung in der Designausbildung

Die if Design Foundation hat ein anspruchsvolles Weißbuch herausgebracht, laut Christoph Böninger, dem Vorsitzenden der Stiftung, mit dem Ziel: Die Designausbildung soll besser werden! Über fünf Jahre wurden insgesamt 250 Lehrende, Studierende und Vertreter:innen der Berufspraxis auf vier Kontinenten in Interviews und Hearings befragt. Das Ergebnis ist ein klar strukturiertes und schön illustriertes, spannendes Buch, das eine Bestandsaufnahme der vielfältigen Ansprüche an zukünftige Designer:innen leistet. Beeindruckend ist die Leistung von René Spitz, der als Verantwortlicher für die Texte in exzellenter Sprache durch den Prozess führt.

Basis der Analyse sind vier Hearings in Gmund, Pasadena, Kyoto und Johannesburg, ergänzt um Literaturrecherche und Beobachtungen in den vier Weltregionen. Der besondere Reiz liegt in den Einblicken, sowohl was die Übereinstimmungen, aber vor allen Dingen die Unterschiede im Verständnis von Design und den Prämissen für die Designausbildung betrifft. Allen gemeinsam ist die Unzufriedenheit mit dem Stand der Dinge. „Unisono wird geschildert, dass der Status quo der Designlehre nicht genügt, um die Anforderungen zu bewältigen, die sich aus der dynamischen Veränderung von Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft ergeben.“, so eine der Aussagen der Executive Summary. Einig ist man sich auch in der Definition des gemeinsamen Nenners: „Als Kern aller Praktiken im Design wird die Kombination aus Vorstellungskraft (Visionierung) und der Fähigkeit zur Veranschaulichung (Visualisierung) definiert. Deshalb erfordert das Designstudium eine Balance aus intellektuellem Denken und manuellem Machen, aus Vertiefung von Details und Betrachtung von Zusammenhängen.“

Sehr spannend wird die Auseinandersetzung um das Verständnis von Design, wenn in Kyoto und besonders Johannesburg von westlichen Interpretationen abweichende Konzepte vorgestellt, eigene kulturelle Traditionen benannt werden und die Dominanz des Design-Kolonialismus in Frage gestellt wird. Die Entwicklung eines eigenständigen Verständnisses der Rolle von Kultur, Handwerk, Kunst und Design in der Gesellschaft könnte auch hierzulande Denkblockaden lösen. Wünschenswert wären solche Einblicke in das chinesische Design-Selbstverständnis, auch um zu evaluieren, was internationale Hochschulkooperationen zwischen den unterschiedlichen Kulturkreisen bewirken können und sollen.

Die an die Designausbildung gestellten Ansprüche sind vielfältig und teilweise widersprüchlich. Als Lehrende an unterschiedlichen Hochschulen und als Vertreterin der Berufspraxis in Evaluationsprozessen kenne ich die Problematik der Umsetzung. Ein Verdienst des Weißbuches liegt in der Zusammenfassung der unterschiedlichen Postulate, die die gewaltige Bandbreite der Profession widerspiegeln und die damit erforderlichen Richtungsentscheidungen. Im Bologna Prozess der letzten Jahre an den deutschen Designhochschulen hätte es sicher gute Dienste bei der Schärfung der Argumentation in den Curricula geleistet.

Das Weißbuch fördert hoffentlich die Weiterentwicklung in der Ausbildung. Ob die Aussagen des deutschen Hearings für Europa stehen können? Immerhin gibt es in Deutschland die meisten Designausbildungsstätten. Bologna und unser föderales System bedeuten, dass Hochschulen zur Existenzsicherung im Wettbewerb um die Anzahl von Studierenden stehen. Niemand aber fühlt sich für die Frage des Bedarfs an Berufseinsteigern insgesamt verantwortlich.

Im Vorwort fordert Dieter Rams lieber weniger Ausbildungsangebote, dafür aber qualitativ bessere. Sehr einverstanden, aber will er wirklich „neue Spitzeninstitute“? Das „neue europäische Bauhaus“ von Ursula von der Leyen als Teil des Green Deals zur Klimaneutralität des Kontinents meint wohl keine neuen Institutionen. Aus meiner Sicht wäre es ein großer Erfolg des Buches, wenn es zumindest in Deutschland die Auseinandersetzung in den Hochschulen, zwischen den Hochschulen sowie zwischen der Ausbildung und der Berufspraxis vorantreibt. Und darüber hinaus eine erste Orientierung für Designanfänger:innen gibt. Entwicklungspsychologisch gesehen ist es zwar für Zwanzigjährige nicht so leicht, sich vom Wunschbild des MEIN DESIGN zu lösen, die wunderbare Vielfalt und Komplexität der Disziplin zu umarmen und das interdisziplinäre UNSER DESIGN zu wollen. Die aktuelle Nachwuchsgeneration scheint dazu aber eher in der Lage zu sein als frühere Generationen.

Dieses erste Weißbuch zur Designausbildung leistet einen wichtigen Beitrag zur Zukunft der Designlehre – und zur Weiterentwicklung der Profession, wenn der Anstoß genutzt wird. Die berechtigte Forderung aller Hearings nach lebenslanger Qualifikation im Design wird als Versprechen des „Lebenslangen Lernens“ gerade massiv von der Industrie als Ressource entdeckt, um besonders talentierte Leute zu binden. Konsequenterweise beginnen einige Konzerne bereits mit der Ausbildung, gerade auch im Design.

Designing Design Education
Weißbuch zur Zukunft der Designlehre

deutsch / englisch
312 Seiten, 400 Abbildungen
21 x 26 cm Softcover mit Klappen

ISBN: 978-3-89986-341-3
avedition
49 Euro