Scheitern zwischen Stunde Null der Nachkriegszeit und Achtundsechziger-Bewegung

Ein spannendes Buch, wie in einem Krimi fiebert man dem Ende entgegen, wider besseres Wissen auf einen guten Ausgang des Dramas hoffend. Eine Elite für die demokratische Führung der jungen Bundesrepublik Deutschland auszubilden, war der idealistische und elitäre Anspruch der Gründer im Ulm der frühen 1950er Jahre. Dass dieses Postulat in eine Hochschule für Gestaltung münden sollte, war zu Beginn der Initiatorin und Gründerin der Geschwister-Scholl-Stiftung Inge Scholl noch nicht klar.

Chronologisch führt Christiane Wachsmann durch die anderthalb Jahrzehnte der Entstehung und des Untergangs der HfG Ulm anhand der Aussagen der Beteiligten, der Dokumente des Archivs und der Interpretation der Vorgänge an der Hochschule und ihrem gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Kontext. Aus heutiger Sicht kann sie erkennen, dass hier zwischen der sogenannten Stunde Null der Nachkriegszeit und der Achtundsechziger-Bewegung die letzte Vorkriegsgeneration und die erste Nachkriegsgeneration nicht in der Lage waren, gemeinsam ein langfristig tragfähiges Konzept zu entwickeln.

Viele Namen der Protagonisten sind aus der Designgeschichte bekannt. Aber auch für Nicht-Designer kann das Buch ein spannendes Zeitdokument über Idealismus und gesellschaftspolitische Visionen, über Naivität und persönliche Egoismen, über Selbstermächtigung und Selbstverwaltung ohne Erfahrung, Organisation und Teamfähigkeit sein. Neben den geschichtlichen Bezügen zur jungen BRD mit ihren vielen Altlasten entsteht immer wieder ein Bild von der Atmosphäre an der Hochschule.

Zu empfehlen ist das Buch für alle, die wissen wollen, in welchem Kontext und vor welchem Hintergrund die heute ikonischen Produkt-Entwürfe der HfG entstanden sind. Oder für die, die mit der Selbstverwaltung an ihren Hochschulen hadern. Oder ein Fallbeispiel suchen, warum Public Private Partnership in Deutschland keine Tradition kennt oder ohne Finanzierung das beste Konzept nicht funktioniert. Und für alle, die aus der Geschichte dieser Transformationsphase Anregungen in der aktuellen Auseinandersetzung um die Wissenschaftlichkeit von Design ziehen möchten und sich der Macht der Gestaltung bewusst sind. Die politische Dimension von Gestaltung scheint heute weniger im Bewusstsein denn je. Erstaunlich und bedauerlich bei den Aufgaben von Design in der aktuellen Umbruchzeit.
IL

Vom Bauhaus beflügelt. Menschen und Ideen an der Hochschule für Gestaltung
Autorin: Christiane Wachsmann
Verlag: avedition, 296 Seiten Hardcover mit Lesebändchen, 35 s/w-Abbildungen, 29 Euro
ISBN: 978-3-89986-286-7